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Weil du du bist

Last updated on 1. März 2021

Das war irgendwie schwer zu glauben, dass er gerade noch draußen war. Jetzt war er hier – „eingesperrt und angekettet“ auf unbestimmte Zeit. Erst drei Tage her war es, dass Jona nochmal kurz seinen Freund besuchen gehen konnte. Denn wer wusste, wann das wieder gehen würde – ob es überhaupt nochmal gehen würde…

Und dann, weil wir tagein tagaus auf diesen paar wenigen Quadratmetern zusammensaßen. Ich im Stuhl – meistens lesend oder schreibend. Er im Bett – entweder am Tablet oder schlafend. Da sprachen wir immer wieder über dieses und jenes. Ein kurzes Gespräch – den einen in die Welt des anderen mitnehmen. Dann wieder Schweigen – jeder in seiner eigenen Welt.

Meistens waren unsere Unterhaltungen nur kurz. Aber sie waren intensiv. Jona hat die Sachen immer schnell und gut auf den Punkt gebracht. Er kannte seine Gefühle und konnte sie gut in Worte fassen.

Und so hab ich mich an diese Autofahrt drei Tagen zuvor erinnert. Ich hatte ihn gerade abgeholt, nachdem er noch ein paar Stunden bei der Familie seines Freundes verbracht hatte.

„Das war perfekt!“, hat er nur gesagt. „Weißt du, die verstehen zwar nicht alles von mir… Aber auch wenn die nicht ganz kapieren, wie das alles für mich ist, die mögen mich. Und bei denen kann ich einfach sein, wie ich bin.“

Die Gedanken konnte ich nur zu gut nachvollziehen. Denn es gibt Leute, die mag man, und man wünscht sich wirklich, man könnte sie auch immer mögen. Aber in Zeiten wie diesen, da wird man so verletzlich; man ist so dünnhäutig, dass es nur eine etwas dumme Bemerkung einer Person braucht, und dies wird die einzige Sache sein, die einem noch in Verbindung mit diesem Menschen einfallen wird. Und egal, wie sehr man versucht, loszulassen – es geht nicht.

Es gibt Leute, die würden behaupten, das hat was damit zu tun, dass man unversöhnlich ist, nicht bereit zu vergeben.

Das seh ich anders. Es geht darum, sein Herz zu beschützen. Das Herz, das ohnehin schon so viel ertragen muss und so sehr weh tut.

Es geht darum, die Kraft, die einem noch bleibt, da aufzuwenden, wo sie am meisten gebraucht wird.

Und es geht darum, herauszufinden, auf wen man sich wirklich verlassen kann. Weniger in Form von praktischer Hilfe, als in Form von Loyalität. Einfach zu wissen, da ist wer, der bei dir bleibt. Da ist wer, der zu dir hält und zu dir steht, selbst wenn er nicht verstehen kann, warum du gerade seltsam komisch bist.

Jemand, der bei dir sein will, einfach weil es du bist, bei dem er sein will.

Der bei dir ist, weil du du bist.

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Julia ist Jahrgang 1981. Sie ist eigentlich Übersetzerin – singt aber am liebsten… und besser als sie übersetzt. 2011 wurde bei ihrem ältesten Sohn Jona ein Hirntumor, genauer bezeichnet als Medulloblastom, festgestellt. Seit seinem ersten Rückfall schreibt sie ihre Gedanken in Form eines Blogs nieder. Sie singt auf Hochzeiten und überall sonst, wo man Lieder braucht. Doch am liebsten nimmt sie Menschen durch ihre eigenen Lieder mit – mit in ihre eigene Welt. Sie bäckt so ungern Kuchen, dass, wenn sie’s doch einfach mal tut, der Rest der Familie fragt, wer denn Geburtstag hat. Sie wünscht sich, sie könnte besser schwimmen, ist aber doch nicht ehrgeizig genug, weil sie sich eigentlich mit Boden unter den Füßen am wohlsten fühlt. Und es geht ihr wie so vielen Müttern auf dieser Welt: Sie ist einfach gern allein – und ist sie’s dann tatsächlich, fühlt sie sich doch, als würde ihr ein Bein fehlen. Mit ihrem Mann, Jonas drei Brüdern und dessen Hund Mia lebt sie in Ravensburg.