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Geduld im Nebel

Last updated on 21. Januar 2021

Immer wenn ich im Nebel unterwegs bin, kommen mir Erinnerungen an manche Autofahrten über die Schwäbische Alb, morgens früh von Tübingen zu uns nach Hause. Jona war so lange in der Klinik und ich so wenig daheim. An manchen Tagen kamen meine Eltern oder oft auch mein Vater allein, um bei Jona zu sein, damit ich nur mal auf einen Sprung nach Hause konnte. Das waren die Tage, an denen ich morgens weit vor Sonnenaufgang los bin, um daheim die Kinder noch für die Schule und den Kindergarten verabschieden zu können – Wäsche waschen, einkaufen, mittags den Kindern noch ein Essen machen und dann wieder los ewige Landstraßen zurück in die Klinik.

Oft hab ich viel nachgedacht oder gesungen während dieser einsamen Autofahrten. Manchmal aber auch war der Weg so anstrengend, dass ich meinen müden Kopf mit allem, was ich hatte, beisammen halten musste. Und so ist es, dass ich bei Nebel grundsätzlich immer als erstes an diese mühsamen Autofahrten im Spätherbst denken muss.

Wie oft saß der Nebel dick auf der Straße – und mir im Nacken saß ein anderes Auto. Ich war wohl nicht schnell genug. Oft dachte ein Autofahrer hinter mir, ich wäre das Problem und zog bei der nächsten Gelegenheit an mir vorbei… nur um dann genauso langsam zu werden, wie ich vorher war. Denn, wenn bei Dunkelheit und Nebel einer direkt vor einem unterwegs ist, sieht der Zweite besser als der vorne. Ich bin gerne hinten gefahren. Das war viel entspannter. Manchmal hab ich mich extra überholen lassen, nur um nicht mehr so hochkonzentriert fahren zu müssen.

Manchmal sind wir froh, wenn da jemand ist, der uns den Weg besser ausleuchtet. Froh, wenn wir nicht allein für klare Sicht sorgen müssen. Aber manchmal sind wir eben einfach allein – allein im Nebel. Nur wir, der Nebel, unsere eigenen Augen und unser Licht. Sonst nichts. Vorwärts geht es nur langsam. Anhalten, das würde man am liebsten – wäre da nicht ein Ziel.

Wenn der Weg im Nebel versinkt, und die Sicht verschleiert ist, ist überlebenswichtig, was uns oft so dolle fehlt (manchen mehr, manchen weniger) – Geduld. Und ist das nicht auch momentan genau das Thema? Denn – Toilettenpapier haben wir jetzt. Hefe auch. Nudeln und Desinfektionsmittel reichen uns eine Weile. Doch die Geduld, die geht uns langsam aber sicher aus… bei unserer Fahrt durchs Ungewisse. Aber genau die brauchen wir. Die brauchen wir, um heil und unbeschadet anzukommen. Die brauchen wir, um bei all dem Nebel zu erkennen, ob wir überhaupt noch richtig unterwegs sind und nicht vielleicht falsch abgebogen sind.

Doch die Geduld ist ein verhärteter Muskel – auch bei mir. Und ihn wieder beweglich zu machen, ist nicht gerade unanstrengend. Denn Geduld ist ja nichts Passives. Sie ist ja nicht nur ein Über-sich-ergehen-lassen. Geduld ist aktives Aushalten, Ertragen. Sowas wie aktive Inaktivität.

Ob auf der Schwäbischen Alb oder allgemein im Leben. Wir brauchen Geduld. Geduld für unseren Weg durch den Nebel.

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Julia ist Jahrgang 1981. Vor Jahren hat sie mal das Übersetzerhandwerk gelernt, heute schreibt sie Lieder und arbeitet als Sängerin und Stimmtrainerin. 2011 wurde bei ihrem ältesten Sohn Jona ein Hirntumor, genauer bezeichnet als Medulloblastom, festgestellt. Seit seinem ersten Rückfall schreibt sie ihre Gedanken in Form eines Blogs nieder. Zimmerpflanzen mag sie eigentlich gern, hat ihren Kopf aber lieber in Liedern und ihre Finger am Klavier, sodass diese in ihrem Haus meistens kein allzu langes Leben haben. Kuchen bäckt sie so ungern, dass, wenn sie’s doch mal tut, der Rest der Familie fragt, wer denn Geburtstag hat. Sie wünscht sich, sie könnte besser schwimmen, ist aber doch nicht ehrgeizig genug, weil sie sich eigentlich mit Boden unter den Füßen am wohlsten fühlt. Und es geht ihr wie so vielen Müttern auf dieser Welt: Sie ist einfach gern allein – und ist sie’s dann tatsächlich, fühlt sie sich doch, als würde ihr ein Bein fehlen. Mit ihrem Mann, Jonas drei Brüdern und dessen Hund Mia lebt sie in Ravensburg.