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Heimat

Das Gefühl von Heimat, auf einen Ort bezogen, kenne ich nicht. Ich war immer eine „Zugezogene“. Und so war es, dass ich (vorausgesetzt, die Familie hätte mitgezogen) bis vor ein paar Jahren noch ohne Probleme die Sachen hätte packen können, um mir woanders ein Zuhause einzurichten.

Wenn wir auf Reisen sind, ertappe ich mich dabei, wie ich auf dem Weg zur Unterkunft den Kindern sage „Wir gehen jetzt heim.“ Natürlich gehen wir da nicht heim. Wir gehen nur dahin, wo ein Bett für uns bereitsteht. Aber so ist das irgendwie in meinem Kopf: Daheim ist prinzipiell dort, wo man schläft.

Seit Jonas Tod hat sich etwas geändert in mir. Ich bin immer noch gern unterwegs. Aber mir ist auch klar: So einfach kann ich hier nicht mehr richtig weg. Denn Jonas letzter Platz ist hier. Ihn kann ich nicht mehr einfach einpacken und weiterziehen.

Von älteren Menschen, deren Leben sich sichtlich dem Ende naht, hab ich schon des Öfteren gehört „Ich will nicht, dass man sich so viele Gedanken macht, wenn ich dann weg bin…“ Aber genau das ist es ja – Man ist nicht einfach weg! Und ich spreche hier nicht von Erinnerungen und Momenten. Sondern ich spreche hier von der Materie, die einst mal Hülle gewesen war, wesentlicher Teil des Menschen, den man lieb hatte. Diese Hülle, dieser Körper, aus dem dann doch alle Bilder sind, mit denen Erinnerungen wieder lebendig werden. Man ist nicht einfach weg. Etwas bleibt immer. Wenn auch nur ein Körnchen Asche.

So ist es, dass Jonas „letzte Ruhestätte“ mir nun ein Gefühl von Heimat in Form eines Ortes verschafft hat – ohne dass ich das je wollte. Und es ist gar nicht, dass ich oft Stunden auf dem Friedhof verbringe, sondern das ist eher dieses Gefühl, mich bei ihm entschuldigen zu müssen, dafür dass wir ihn „daheim“ gelassen haben, wenn wir dann doch mal wieder weg sind. Dieses Gefühl irgendwie gebunden zu sein, verbunden zu sein mit einem Ort – wegen dem, der ihn ausfüllt.

Sicher empfindet nicht jeder gleich. Und mancher ist wahrscheinlich auch nicht zu hundert Prozent ehrlich mit sich selbst – weil seine eigenen Gefühle ihn sonst überfordern würden, und er nicht weiß, auf wen er sich stützen könnte. Denn auch wenn wir oft gern „nur“ von der Hülle sprechen, von dem was zerfällt, sich zersetzt, verbrennt, verweht – egal wie es ist und egal wo es ist: Es hat Heimat in sich getragen – und das wird immer so sein.

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Julia ist Jahrgang 1981. Sie ist eigentlich Übersetzerin – singt aber am liebsten… und besser als sie übersetzt. 2011 wurde bei ihrem ältesten Sohn Jona ein Hirntumor, genauer bezeichnet als Medulloblastom, festgestellt. Seit seinem ersten Rückfall schreibt sie ihre Gedanken in Form eines Blogs nieder. Sie singt auf Hochzeiten und überall sonst, wo man Lieder braucht. Doch am liebsten nimmt sie Menschen durch ihre eigenen Lieder mit – mit in ihre eigene Welt. Sie bäckt so ungern Kuchen, dass, wenn sie’s doch einfach mal tut, der Rest der Familie fragt, wer denn Geburtstag hat. Sie wünscht sich, sie könnte besser schwimmen, ist aber doch nicht ehrgeizig genug, weil sie sich eigentlich mit Boden unter den Füßen am wohlsten fühlt. Und es geht ihr wie so vielen Müttern auf dieser Welt: Sie ist einfach gern allein – und ist sie’s dann tatsächlich, fühlt sie sich doch, als würde ihr ein Bein fehlen. Mit ihrem Mann, Jonas drei Brüdern und dessen Hund Mia lebt sie in Ravensburg.