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Kinder…

Last updated on 21. Januar 2021

Das ist ein typischer sonniger Sonntagnachmittag in den Feldern am Stadtrand. Es tummelt sich. Jetzt noch viel mehr als sonst – im Café sitzen ist ja nicht. Also geht alles spazieren, Rad fahren, die Bänke am Wegrand sind besetzt… Mir kommt eine Mutter mit drei Kindern entgegen. Eins davon zieht sein Geschwister im Bollerwagen. Der Kleine hat heftig zu tun und läuft ein bisschen schief. Als wir fast auf einer Höhe sind (er ist nicht mal annähernd in mich reingestoßen) weist sie ihn zurecht „Pass auf, wo du hinläufst!“ – „Das hätte nicht sein müssen…“ denke ich mir im Weiterlaufen. „Warum nur entschuldigen wir so oft unsere Kinder dafür, dass sie Kinder sind?“

Aber, das hätte ich sein können. – Ich, bevor Jona krank wurde. Ich wollte nicht anecken, wollte keinen Stress. Die Eltern von braven und leisen Kindern haben es scheinbar leichter. Leben wir ja auch leider umgeben von vielen Menschen, die ernsthaft diese Sicht vertreten. Was hab ich mich und die Kinder gestresst!

Erst als Jona nicht mehr „nur ein Kind“ war – sondern ein Kind, das eine riesen Last zu tragen hatte. Ein Kind, das allen Grund hatte laut zu schreien, Dinge kaputt zu machen, um sich zu schlagen, wütend zu sein – auf sich, auf sein Leben, auf andere. Erst als mir bewusst wurde, wie in meiner Welt doch wenig Verständnis da war, Toleranz und Geduld für das, was aus Jona geworden war – erst da wurde mir so wirklich bewusst, wie dumm ich gewesen war, dass ich viel zu oft versucht hatte, meine Kinder zurückzuhalten (und es ist mir ja doch oft nicht gelungen – weil sie und ich einfach nicht so sind).

Ich habe meine Kinder vor Menschen entschuldigt, denen es nicht darum ging, dass aus einem Kind letztendlich ein sozialer, liebevoller, einfühlsamer Erwachsener wird – sondern vor Menschen, die schlicht und einfach nicht gestört werden wollten. Nun ist das auch alles nicht so einfach… wenn man wohnt, wie unsere Kinder – unter Erwachsenen, die hohl drehen, wenn der Fernsehempfang sie im Stich lässt und sich außerordentlich gestört fühlen, wenn Kinder es wagen während ihres Nachmittagskaffees nebenan Spaß im Pool zu haben.

Natürlich ist nicht jeder so laut wie wir. Und natürlich sind meine Erwachsenenbeispiele krass – aber leider wahr und nicht die einzigen. Darum – hören wir doch auf, dauernd unsere Kinder zu entschuldigen! Sind wir vielmehr dankbar, dass sie Kinder sein können, im Spiel das Leben lernen dürfen, die Möglichkeit haben, Wege zu entdecken, wie sie sich selbst helfen und heilen können, falls es im Leben mal nicht mehr so läuft.

Waren wir nicht alle mal Kinder? Haben wir nicht alle mal was Dummes gemacht? Haben wir nicht alle mal Spaß dran gehabt, eine Klingel zu drücken und wegzurennen? Ist uns nicht allen auch mal was beim Spielen kaputt gegangen? Haben wir nicht alle mal Grenzen ausgetestet? Haben wir nicht alle mal an einer Stelle wirklich Schimpfe bekommen und dann gemerkt, das war eindeutig zu weit?

Denn „Ich wette mit dir…“ meint einer unserer Jungs, als ich ihnen sage, sie müssen aufhören Klingelstreiche zu machen – es sei definitiv genug. „Ich wette mit dir, Herr X…, als der ein Kind war, der hat bestimmt voll viel Spaß gehabt!“ – Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Natürlich kann ich nicht alles erlauben. Und natürlich müssen manche Dinge diskutiert und geregelt werden. Aber ich werde mich nicht mehr dafür entschuldigen, dass Kinder sind wer sie sind – nämlich Kinder.  

2 Kommentare

  1. Danke liebe Julia. Deine Worte erden mich immer wieder. Ich bin so oft gesteuert von den Erwartungen anderer, vom Druck der Außenwelt, von Vorgaben wie man sein muss. Oft fehlt mir das Selbstbewusstsein und die Muse mit dem Verhalten meiner Kinder vor anderen Menschen einverstanden zu sein. Oft machen wir sie auch klein und reden von ihren Schwächen und was sie noch nicht so gut können wie andere. Nicht selten erwische ich mich dabei wie ich mich frage, warum meine Kinder dies und jenes nicht so gut können wie andere. Aber tief im Inneren weiß ich, dass ich ein gutes Vorbild bin und versuche mich an die Lindgren’schen Prinzipien zu halten und meine Kinder mit Geborgenheit und Freiheit auf das Leben vorzubereiten. Nur mit dem Gefühl von Rückhalt und Vertrauen kann man mit Mut hinaus in die Welt gehen. Danke liebe Julia, dass du mich mit deinen Gedanken immer wieder daran erinnerst, was wirklich wichtig ist im Leben.

    • Julia Boskovic Julia Boskovic

      Meine liebe Steffi, danke, dass du das schreibst… Weil das sind genau zu 100% auch immer wieder meine Gefühle, gegen die ich oft bewusst angehe – und manchmal auch verpasse ich es und schaffe es nicht. Wie treffend formuliert hast du das… „das Selbstbewusstsein und die Muse mit dem Verhalten meiner Kinder vor anderen Menschen einverstanden zu sein.“ Oh, wie kommt mir das so bekannt vor! Aber der Mut, Eltern mit Fehlern und Lücken zu sein – in unserer Gesellschaft und ganz besonders für unsere Kinder – bringt Möglichkeiten, Vergebung und Versöhnung zu er-leben… Das schafft Nähe. <3

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Julia ist Jahrgang 1981. Sie ist eigentlich Übersetzerin – singt aber am liebsten… und besser als sie übersetzt. 2011 wurde bei ihrem ältesten Sohn Jona ein Hirntumor, genauer bezeichnet als Medulloblastom, festgestellt. Seit seinem ersten Rückfall schreibt sie ihre Gedanken in Form eines Blogs nieder. Sie singt auf Hochzeiten und überall sonst, wo man Lieder braucht. Doch am liebsten nimmt sie Menschen durch ihre eigenen Lieder mit – mit in ihre eigene Welt. Sie bäckt so ungern Kuchen, dass, wenn sie’s doch einfach mal tut, der Rest der Familie fragt, wer denn Geburtstag hat. Sie wünscht sich, sie könnte besser schwimmen, ist aber doch nicht ehrgeizig genug, weil sie sich eigentlich mit Boden unter den Füßen am wohlsten fühlt. Und es geht ihr wie so vielen Müttern auf dieser Welt: Sie ist einfach gern allein – und ist sie’s dann tatsächlich, fühlt sie sich doch, als würde ihr ein Bein fehlen. Mit ihrem Mann, Jonas drei Brüdern und dessen Hund Mia lebt sie in Ravensburg.