Last updated on 18. April 2021
Wenn im Wald eine Horde Mountainbiker wie ein Schwarm Mücken an mir vorbeizischt, empfinde ich nicht gerade die wärmsten Gefühle. Des Öfteren hab ich schon Diskussionen mit irgendwelchen Jungs geführt, die meinten, man könne einfach mal blind einen schmalen Pfad hinunterrasen, auf dem auch Leute entgegenkommen, die nicht in der Lage sind, sich noch mit einem Hechtsprung ins Gebüsch zu retten.
Woher unser Jüngster diese extreme Leidenschaft fürs Radfahren hat, kann ich mir darum nicht ganz erklären. Vielleicht gerade deswegen, weil wir als Familie praktisch nie eine Fahrradtour gemacht haben. Denn bei solchen Aktivitäten jedem Familienmitglied gerecht zu werden, ist für eine Familie, wie wir es mit Jona waren (eine Familie mit einem schwerkranken/behinderten Kind) oft sehr schwierig. Weshalb solche Aktionen dann in der Regel gar nicht erst geplant werden.
Dieser Sohn lag uns schwer in den Ohren – er brauche unbedingt ein gefedertes Rad! „Du hast doch ein Rad! Man muss nicht alles haben…“ Es gibt Menschen wie mich, die verarbeiten am meisten über Worte und über Musik – und sie verstehen manchmal nicht so schnell, dass andere, die wie unser Sohn einen unglaublichen Bewegungsdrang haben, auch auf andere Weise negative Gefühle abbauen und sich selbst stärken.
Doch wenn ein Kind dann seit über einem Jahr nur diesen einen Wunsch hat: „Ein Rad mit einer Federgabel und einen Fullface-Helm“, dann muss man sich irgendwann eingestehen: „Das ist nicht nur eine Phase. Er braucht dieses Rad. Und wenn uns das nur irgendwie möglich ist, dann besorgen wir es ihm – dieses Bike mit der Federgabel.“
Dass er an Weihnachten dann sein Mountainbike nicht noch mit ins Hochbett geschleppt hat, war alles. Er war selig. Seitdem ist jede Treppe ein Parcours, wird über alles geschanzt. Das ist sein Ding. Ich versteh es nicht. Aber das muss ich auch nicht. Es reicht, wenn ich weiß, dass das Seins ist – und dass es ihm guttut.
Wenn ich unterwegs bin und die Kinder zu Hause sind, dann klingeln sie mich immer wieder mal auf dem Telefon an. „Wann kommst du wieder?“ – „Ich hab Hunger. Wann gibt’s Essen?“ – „Mama, derundder hat sich gerade Gummibärchen geholt. Das darf er nicht!“ – „Mama, derundder hat gerade Arsch zu mir gesagt, dann hab ich ihm eine reingehauen, und dann hat er…“ – „Mama, Papa schaltet mir das Internet nicht frei, ich muss mir aber jetzt das eine Spiel runterladen!“ – „WO SIND MEINE HANDSCHUHE???? Ich brauch die sofort, und die sind nicht da!!!“
In der Regel sind das die Gespräche, die ich erwarte, wenn mein Handy klingelt und „Daheim“ auf dem Display erscheint. Doch dann gibt es Momente wie gestern, die mein Herz mehr erfüllen als alles, was ich an diesem Tag als Erfolg gefeiert hab. Wenn mein kleiner Mountainbiker mich anruft und ins Telefon strahlt „Mama, ich muss dir was erzählen… Ich bin so glücklich! Ich bin so total glücklich…“ Und er erzählt mir, wie er einen „Double geschafft“ hat. Wie er einfach nur noch auf den Lenker geschaut hat, weil er „sooo Schiss“ hatte, und wie er nach der Landung immer noch gezittert hat, und wie er beim zweiten Mal schon viel sicherer war – und wie er… hat er mir schon gesagt, wie glücklich er ist?
Das sind diese Momente, die ich am liebsten in ein Glas packen würde, um sie ins Regal zu stellen, damit ich sie immer vor Augen habe und sie mal auspacken und genauer betrachten kann, wenn ich an mir und meinem Leben zweifle und denke, alles entgleitet mir, nichts funktioniert. Das sind die Momente, die man mit keiner Kamera festhalten kann, und die darum umso tiefer im Herzen verstaut sind. Diese Momente, die ich jeder Mama (und auch jedem Papa) wünsche – vor allem aber denen, die unter erschwerten oder unvorteilhaften Bedingungen Kinder beim Heranwachsen begleiten.
Diese Momente, in denen man erkennen darf, wie gut es war seinem Kind zuzuhören. Zuzuhören… nicht einem Buch, nicht einem Ratschlag, nicht irgendwelchen „Dos und Don’ts“ – sondern diesem mir anvertrauten Kind. Diese Momente, in denen einem klar wird, dass da ein Unterschied ist zwischen Dingen, die Kinder haben wollen und Dingen, die zu einer bestimmten Zeit wichtig für sie sein können und überaus hilfreich. Diese Momente erfüllen und machen Mut – Mut, einfach Mama zu sein. Zu sein. Da zu sein. Mit offenen Ohren, offenen Augen und offenem Herzen einfach da zu sein.
Liebe Julia, ich verstehe den Satz „das sind Momente, die ich am liebsten in ein Glas packen würde….“. Aber du brauchst dieses Glas gar nicht. Diese Momente hast du in deinem Herzen! ❤️🥰
🙂 Und trotzdem – manchmal hab ich doch Angst zu vergessen… <3