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Loslassen – oder der Mut Mensch zu sein

Last updated on 1. März 2021

„Was du mir erzählt hast, ist nicht warum ich weine…“ erkläre ich meinem Sohn, „Ich weine, weil Jona mir einfach nur fehlt.“ Hat er’s verstanden? Hat er verstanden, dass es nicht schlecht ist, dass er mich zum Weinen gebracht hat? Hat er verstanden, dass ich froh bin, dass er mir von Jona erzählt hat und von seinen Gefühlen? Hat er verstanden, dass es gut war für mich, weinen zu können? Hat er wirklich verstanden, dass er ja nicht aufhören soll, mir von Jona und von seinen mit Jona verbundenen Gefühlen zu erzählen? Das ist mir so sehr wertvoll! Das will ich nicht lassen – nicht loslassen!

Loslassen – gerade hab ich wieder mal einen Podcast zum Thema angehört. Der Tod wird angerissen, vorwiegend spricht man über zerbrochene Beziehungen (vor allem aus der Sicht der Partner – nicht aus der Sicht von Kindern, die machtlos zwischendrin hängen). Ich möchte keinerlei Verlust herunterspielen – und natürlich müssen wir alle im Laufe unserer Leben viel mehr loslassen, als „nur‘ einen verstorbenen Menschen. Und oft hab ich, wenn ich übers Loslassen nachdenke, auch Jona vor Augen, wie er mit dem Verlust der Kontrolle über seinen Körper und somit seiner Selbständigkeit und Unabhängigkeit zu kämpfen hatte. Das war echte Trauer. Und Loslassen für ihn – das ging mal besser, mal schlechter.

Im Podcast kommt man nach einer Weile auf den Tod zu sprechen, darauf, wie fast unantastbar das Thema Loslassen bezüglich dem Tod eines geliebten Menschen ist, wie die Unfähigkeit loszulassen in dieser Beziehung fast komplett verständlich ist.

Ich hab ja auch schon vom Loslassen geschrieben. Davon, dass ich „Jona losgelassen“ habe – was für mich in diesem Kontext bedeutet hat, dass ich stehenlassen konnte, was Sache war. Doch trotzdem finde ich diese Begriffe, die in unseren Köpfen ja immer mit einem konkreten Bild verbunden sind, sehr schwierig. Finde es schwierig, sie auf innere Prozesse anzuwenden. Auf Prozesse, die nicht mit Händen greifbar und für die Augen sichtbar sind. Prozesse, die irgendwie auch „nicht von dieser Welt“ zu sein scheinen.

Wie ein Mensch sich entwickelt, das Leben allgemein, verläuft nicht linear. Leben wir nicht ohnehin gerade in einer Zeit, die uns zeigt, wie zerbrechlich unsere Vorstellungen vom „Angekommen-Sein“ sind. Wie plötzlich Begriffe und Theorien eine andere Bedeutung, einen anderen Sinn bekommen, und mit etwas gefüllt werden, das wir gar nicht in Erwägung gezogen haben, als wir uns darauf festgelegt hatten.

Wir gebrauchen Begriffe wie Loslassen und Frieden schließen, Annehmen und das Beste draus machen – eigentlich nur um etwas zu beschreiben, was wir nie wirklich ganz verstehen werden (und was doch möglich ist). Und trotzdem stehen diese Begriffe für etwas, was wir nie ganz allein in der Hand haben werden, für etwas, das wir nie ganz alleine aus uns heraus beeinflussen können werden.

Und so kommt es, dass ich mich immer wieder fragen muss, auf was es letzten Endes wirklich ankommt: Kommt es darauf an, den richtigen Umgang mit einer Sache gefunden und gar erlernt zu haben? Oder ist das Entscheidende eher einfach nur der Mut sich fallen zu lassen, der Mut zu vertrauen, Gott zu vertrauen? Der Mut, Mensch zu sein – mehr Mensch zu sein?

Quelle Bild: canva.com

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Julia ist Jahrgang 1981. Sie ist eigentlich Übersetzerin – singt aber am liebsten… und besser als sie übersetzt. 2011 wurde bei ihrem ältesten Sohn Jona ein Hirntumor, genauer bezeichnet als Medulloblastom, festgestellt. Seit seinem ersten Rückfall schreibt sie ihre Gedanken in Form eines Blogs nieder. Sie singt auf Hochzeiten und überall sonst, wo man Lieder braucht. Doch am liebsten nimmt sie Menschen durch ihre eigenen Lieder mit – mit in ihre eigene Welt. Sie bäckt so ungern Kuchen, dass, wenn sie’s doch einfach mal tut, der Rest der Familie fragt, wer denn Geburtstag hat. Sie wünscht sich, sie könnte besser schwimmen, ist aber doch nicht ehrgeizig genug, weil sie sich eigentlich mit Boden unter den Füßen am wohlsten fühlt. Und es geht ihr wie so vielen Müttern auf dieser Welt: Sie ist einfach gern allein – und ist sie’s dann tatsächlich, fühlt sie sich doch, als würde ihr ein Bein fehlen. Mit ihrem Mann, Jonas drei Brüdern und dessen Hund Mia lebt sie in Ravensburg.