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Das Glück der anderen – oder einfach nur tief verloren?

„Als wir da neulich Rugby gespielt haben, haben wir einfach sooo tief verloren…“ erzählt unser Sohn beim Abendbrot. Wir müssen lachen. So rum hab ich das noch nie betrachtet.

Ja warum ist das eigentlich so, dass wir, wenn wir verloren haben, die Siegerseite betonen? Warum betonen wir nicht, wie aus Verlierersicht betrachtet, tief das Ergebnis ausgefallen ist, sondern nur wie hoch es für den anderen ausging?

Naja, hier geht’s ja um Wettkampf und Spielresultate. Aber manchmal habe ich den Eindruck, diese Art auf den Ausgang einer Sache zu blicken, zieht sich auch in unser ganz alltägliches Leben hinein.

Fällt es uns leichter, auf andere zu sehen, als dass wir uns unseren eigenen Schmerzen und Wunden stellen? Oder warum ist das so, dass, wenn es uns schlecht geht, manchmal das Glück der anderen mehr Aufmerksamkeit bekommt, als es verdient hat? Dass wir mehr Raum den Gedanken über andere geben, als dass wir uns unserem Schmerz stellen, und uns bewusst werden, was wir brauchen um unser eigenes Leben zu leben – das mit dem Schmerz.

Vielleicht, weil in unserer Gesellschaft Verlust und Trauer immer noch keinen richtigen Platz haben. Denn – wir leben fürs Leben. Wir leben fürs Gewinnen. Wir wollen aufwärts leben. Nicht abwärts. Nicht für den Tod. Nicht fürs Verlieren. Nicht fürs Scheitern. Nicht für den Verlust.

Vielleicht haben wir Angst, dass wir „hängenbleiben auf unserem Trip durchs Tal“, wenn wir uns eingestehen, wie tief wir verloren haben, wie tief der Schmerz sitzt, und wie nichts das Blatt hätte wenden können. Wenn wir uns eingestehen, wie der Verlust, diese Niederlage im Leben so gar nicht in unserer Hand lag, und wie es nicht in unserer Macht stand, den Ausgang der Sache irgendwie zu beeinflussen.  

Ein Verlust setzt chemische Prozesse in unseren Körpern in Gang. Da passiert etwas in unseren Gehirnen, wenn wir trauern. Und damit all das wieder einigermaßen ins Lot kommt und wir besser in der Lage sind, mit diesen Gefühlen (für die man oft ja noch nicht mal ein Wort finden kann) zu leben, müssen wir uns erlauben, uns selbst wahrnehmen zu können. Und wir müssen „bei uns bleiben“, und uns Zeit nehmen. Zeit um anzusehen, wie tief wir verloren haben.

Es gibt für den Umgang mit Trauer kein Patentrezept. Aber aufmerksam sein und sich selbst ernst nehmen, ohne dabei zu vergleichen, sind wichtige Punkte, die einen guten Rahmen stecken; einen Rahmen um leben zu lernen, mit dem, was einem genommen wurde – und einen doch immer irgendwie begleiten wird.

Und auch wenn da andere sind, die gerade feiern und unbeschwert sind, so dürfen wir uns zugestehen, traurig zu sein, am Boden, zerstört, beraubt, desillusioniert. Das hat nichts mit den anderen zu tun. Das hat nichts mit dem Glück der anderen zu tun. Das hat allein was mit uns zu tun. Allein was damit, wie tief wir verloren haben. Und wie tief das geht, was wir verloren haben.

2 Kommentare

  1. Renate Renate

    Liebe Julia deine Geschichten zum Nachdenken sind immer sehr passend und gerade heute trifft es mich. Heute ist Weltkrebstag. Genau an diesem Tag vor 2 Jahren ist unsere Tochter gestorben. Das Glück ist, sie gehabt und mit ihr eine gute Zeit verbracht zu haben. Natürlich schmerzt es, die Freunde auf ihren Weg weiter zu erleben, aber es freut mich auch immer wieder, dass sie ihre Freundin noch nicht vergessen haben.
    Du selbst bist in der Lage und weißt wie nah Freude und Leid/Trauer zum Leben dazu gehören.
    Ich denke oft an euch und grüße herzlich.

    • Julia Boskovic Julia Boskovic

      Liebe Renate, gerade beim Schreiben des Beitrags heute morgen hab ich deinen Status gesehen, dann erst das Datum realisiert und gesehen, dass Weltkrebstag ist – und bald ist Welthirntumortag. Zur Zeit tut mein Herz wieder mehr weh… Kurz nachdem der Artikel raus war, hab ich mit der Mama von Jonas Freund telefoniert, und mir ist nochmal bewusst geworden, wie wichtig es ist, die Gefühle nicht zu sehr zu vermischen. Es ist okay zu fühlen, wie ich fühle – das hat nichts mir ihr zu tun. Das darf ich wissen – und auch sie. (Und sie ist ein Mensch, die weiß das auch – und ich bin eben auch einfach froh und dankbar, dass sie Jona nicht vergisst :)) Ebenso in Gedanken bei euch… Von Herzen liebe Grüße.

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Julia ist Jahrgang 1981. Vor Jahren hat sie mal das Übersetzerhandwerk gelernt, heute schreibt sie Lieder und arbeitet als Sängerin und Stimmtrainerin. 2011 wurde bei ihrem ältesten Sohn Jona ein Hirntumor, genauer bezeichnet als Medulloblastom, festgestellt. Seit seinem ersten Rückfall schreibt sie ihre Gedanken in Form eines Blogs nieder. Zimmerpflanzen mag sie eigentlich gern, hat ihren Kopf aber lieber in Liedern und ihre Finger am Klavier, sodass diese in ihrem Haus meistens kein allzu langes Leben haben. Kuchen bäckt sie so ungern, dass, wenn sie’s doch mal tut, der Rest der Familie fragt, wer denn Geburtstag hat. Sie wünscht sich, sie könnte besser schwimmen, ist aber doch nicht ehrgeizig genug, weil sie sich eigentlich mit Boden unter den Füßen am wohlsten fühlt. Und es geht ihr wie so vielen Müttern auf dieser Welt: Sie ist einfach gern allein – und ist sie’s dann tatsächlich, fühlt sie sich doch, als würde ihr ein Bein fehlen. Mit ihrem Mann, Jonas drei Brüdern und dessen Hund Mia lebt sie in Ravensburg.