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Vom Plan

„Ein Mensch ist so lange unsterblich, bis Gottes Auftrag an ihn in dieser Welt erfüllt ist.“ So in etwa lautete der Text, den ich vor ungefähr zwanzig Jahren mal irgendwo gelesen habe, und der mich seitdem nie mehr wieder losgelassen hat.

Manche von euch mögen jetzt vielleicht die Nase rümpfen und sagen „Aber dies…“ – „Aber jenes…“ Ich weiß… Aber glaubt mir, darum geht es mir nicht. Mir geht es nicht darum, jemanden zu zwingen, etwas zu glauben, was er oder sie nicht glauben kann oder will. Auch geht es mir nicht darum, darüber zu diskutieren, wie das dann ist, wenn sich ein Mensch selbst das Leben nimmt oder grob fahrlässig handelt. Ob sie oder er sich dann in einen Plan „dieser höheren Macht“ eingemischt hat oder nicht. Ob das funktioniert oder nicht. Ob das eine Rolle spielt oder nicht. – Um all das geht es mir nicht.

Mir geht es um diese Ruhe und diese Gelassenheit, die dieser Satz vermittelt. Ruhe und Gelassenheit, die einen Menschen trotz allem nicht aus seiner Verantwortung entlassen. Eine Entspanntheit, die mich schon damals als junge Erwachsene irgendwie gepackt hat und wohl der Grund war, warum mir dieser Satz nie mehr wieder aus dem Kopf gegangen ist. Dieser Satz, der immer wieder laut wird in mir, wenn ich an mein eigenes Leben denke, von den Leben anderer höre.

Dass sie als kleines Kind fast an den Masern gestorben wäre, das hat sie mir noch nie erzählt. (Nein, ich will jetzt nicht über Impfungen oder Impfpflicht sprechen. Oder – vielleicht schon, so indirekt…) Dass sie in ihrem Leben aber schon einmal dem Tod „knapp von der Schippe“ gesprungen ist, das wusste ich. Aber gleich zweimal? Dass sie sich auch jetzt in einer Verfassung befindet, die man immer irgendwie als zerbrechlich oder verwundbar bezeichnen könnte – das sehe ich. Aber sie steht. Sie lebt.

Wie oft ich dem Tod von der Schippe gesprungen bin? Naja, so keinmal – oder vielleicht auch schon zehnmal… Kann man das so ganz genau sagen? Fritz Wunderlich, eine der schönsten Stimmen, wie ich finde, ist durch einen Sturz auf der Treppe ums Leben gekommen. Wie oft bin ich in der Zeit, als Jona schwer krank war und ich zu zwei weiteren gesunden Kindern noch ein kleines Baby hatte, schlaftrunken auf unserer Treppe auf den doofen abgelaufenen Stufen ausgerutscht und der Länge nach hingeknallt. Nicht nur einmal. Nicht nur zweimal.

Einmal danach war der Nacken blockiert. Zeit für einen Termin beim Arzt – hatte ich nicht. „Wird schon irgendwie gehen und wird schon irgendwie werden“, dachte ich. So war es dann auch. Als ich kurz drauf bei Glätte den Müll rausbringen wollte, bin ich ausgerutscht und wurde wie im Film aufs Eis gelegt. Dass in meinem Nacken irgendwas „geschnackelt“ hat, war deutlich zu spüren. Als ich wieder aufstand, konnte ich meinen Kopf wieder frei in jede Richtung drehen. Hätte dieser Sturz auch ganz anders ausgehen können? Hätte alles, was dem vorausgegangen war, auch ganz anders ausgehen können? – Mit Sicherheit hätte… Alles hätte. Aber es war, wie es war.

Jona – bei ihm hätte auch alles anders laufen können. Hätte… Er konnte phasenweise nicht mehr laufen, saß im Rollstuhl, war schwach, todkrank. Hätte er jubeln sollen, dass das so ein toller Plan war? Solche Fragen stelle ich nur – beantworten musst du sie dir selbst.

Alles was ich sagen kann ist, dass Jona immer wieder frustriert war. Er war wütend und enttäuscht. Irgendwann war er müde. Und irgendwann war er desillusioniert. Irgendwann hat er sogar die Löcher in unserem System so sichtbar werden lassen, dass es wehtat. Irgendwann hat er wie mit einem Leuchtstift den kranken Teil des Wertesystems unserer ehrwürdigen Gesellschaft fett markiert. Irgendwann hat er Menschen entlarvt, die unter dem Vorwand, das Richtige zu tun, ihren Hunger nach Macht gestillt haben.

War da trotzdem irgendwas von einem Plan dahinter? Ich glaube nicht, dass es einen Plan gibt nach dem Motto: „Oh, lassen wir mal den Bosse in einem Rollstuhl sitzen, dann…“ oder „Oh, wird die Aurelie mit fünf sterben, dann…“ An diese Pläne glaube ich nicht.

Aber ich glaube, dass es Pläne gibt, die lauten: „Lassen wir mal durch Iva vielen Menschen ein Lachen aufs Gesicht zaubern.“ – „Sollen nicht mal viele Menschen durch Hannes zum Nachdenken kommen?“ – „Eneas soll ein Mensch sein, durch den ganz viele Mut bekommen werden.“ – „Lenia ist eine, die etwas ausstrahlt, was andere nachhaltig verändern wird.“

Dass Menschen wie diese in unserem System wenig Platz haben und somit auch zu „Systemsprengern“ (ein wunderbar treffendes Wort) werden und uns dadurch zeigen, wo es bei uns krankt, und wo wir sowas von daneben liegen – das liegt (leider) auf der Hand. Und doch sind es genau diese Menschen, durch die wir sehen können, wofür es sich wirklich lohnt zu leben. Auf was es eigentlich ankommt. Was wirklich wichtig ist. Was zählt.

Wo war ich eigentlich nochmal? – Der Plan. Der Auftrag. – Ich hab schon immer daran geglaubt. Und tu es heute noch. Mehr denn je.

2 Kommentare

  1. Liebe Julia, das mit dem Lebensplan…., Ach wie sagt ich das jetzt? Mit der Kirche hab ich’s nicht, glauben tu ich irgendwie schon. Komisch? Vielleicht hab ICH irgendwo gelesen, dass der Augenblick des Todes schon bei unserer Geburt oder gar Zeugung feststeht. Ich weiß es nicht mehr, aber ich glaube es. Unabhängig vom Lebens“Plan“. Es gibt Sätze, die mir gut tun. Meine „mütterliche Freundin“, 95 Jahre alt und sehr gläubig, sie hatte manch schweres Päckchen zu tragen, sagt immer wieder „es geht mir gut. Ich kann doch all meine Sorgen auf den Herrn werfen…“ , Und ich weiß, dass sie das nicht nur daher redet. Solche Dinge, die Mut Bestimmtheit geglaubt werden, nach denen sich jemand ausrichtet, tun mir gut.
    Genau so wie manche deiner Gedanken.

    • Julia Boskovic Julia Boskovic

      Ich denk ja, der Glaube hat mit der Kirche so viel zu tun, wie das Lernen mit der Schule. Wer lernen will, dem kann die Schule durchaus eine Hilfe sein, bei manchen bewirkt sie aber genau das Gegenteil – sie verdirbt den Wissensdurst. Und nur weil man in die Schule geht, heißt das noch lange nicht, dass man etwas gelernt hat. Der Vergleich kam mir nur gerade und hinkt auch… Danke, dass du mir Mut machst meine Gedanken frei von der Leber weg zu schreiben <3 Bis jetzt dann endlich mal!

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Julia ist Jahrgang 1981. Sie ist eigentlich Übersetzerin – singt aber am liebsten… und besser als sie übersetzt. 2011 wurde bei ihrem ältesten Sohn Jona ein Hirntumor, genauer bezeichnet als Medulloblastom, festgestellt. Seit seinem ersten Rückfall schreibt sie ihre Gedanken in Form eines Blogs nieder. Sie singt auf Hochzeiten und überall sonst, wo man Lieder braucht. Doch am liebsten nimmt sie Menschen durch ihre eigenen Lieder mit – mit in ihre eigene Welt. Sie bäckt so ungern Kuchen, dass, wenn sie’s doch einfach mal tut, der Rest der Familie fragt, wer denn Geburtstag hat. Sie wünscht sich, sie könnte besser schwimmen, ist aber doch nicht ehrgeizig genug, weil sie sich eigentlich mit Boden unter den Füßen am wohlsten fühlt. Und es geht ihr wie so vielen Müttern auf dieser Welt: Sie ist einfach gern allein – und ist sie’s dann tatsächlich, fühlt sie sich doch, als würde ihr ein Bein fehlen. Mit ihrem Mann, Jonas drei Brüdern und dessen Hund Mia lebt sie in Ravensburg.