Last updated on 21. Januar 2021
„Mama, der hat gerufen Zweitausendzwanzig – Scheißjahr!“ meint mein Sohn um null Uhr an Silvester, als er die Nase zum Fenster raussteckt.
War es das wirklich – ein Scheißjahr? Zumindest von meiner Warte aus gesehen – es war anders. Sehr anders. Herausfordernd. Herausfordernd an Stellen, an denen ich noch nie herausgefordert worden bin. Und für viele von uns (hier und heute) war es ein sehr schweres Jahr, in vielerlei Hinsicht. Denn, wer hätte gedacht, dass… Naja, diese Liste haben wir ja alle schon x-mal mit Menschen um uns besprochen. Denn ja, wer hätte gedacht, dass…?
Neulich hatte ich ein wertvolles Gespräch. Darüber, wie es uns so geht in dieser Zeit. So Hochs und Tiefs. Ich erzähle, dass das Aufeinandersitzen mir auf Dauer schon was ausmacht. Ich liebe meine Freiheit und brauche Raum und Zeit für mich. Aber – was nicht geht, geht halt nicht. Könnte schlimmer sein – kommt für mich so unterm Strich heraus. Naja, ein Erwachsener kann ein solches Jahr ja recht gut einordnen und auch wegstecken; für junge Menschen ist das alles etwas anders… da ist ein Jahr viel Zeit. Meint mein Gegenüber im Gespräch. Ich nicke. Ich verstehe. Und ich fühle das. Ich weiß noch, wie intensiv ich als junger Mensch den Moment gelebt hab. Wenn ich damals statt Dinge zu erleben daheim rumgesessen hätte… Wie wär es mir da gegangen?
Ganz zufrieden bin ich später irgendwie nicht so ganz mit dem Fazit der Unterhaltung. Hab ich doch in meinem Leben schon zu viele junge Menschen kennengerlernt, die nicht nur ein Jahr, sondern mehrere ganze Jahre verloren haben. Denn auch ohne Corona… wie viele Kinder und Jugendliche verlieren gerade ihre Kindheit oder Jugend – weil sie schwerkrank sind, weil sie vernachlässigt aufwachsen, weil sie aufgrund ihrer eigenen oder aufgrund der Familiensituation Aufgaben wahrnehmen müssen, die eigentlich noch nicht für sie dran sind?
So wäre es dann ja, dass ich mit den Gedanken dieses Gesprächs wohl zu dem Schluss kommen müsste, dass diese jungen Menschen oder Kinder eine Jugend oder Kindheit haben, die praktisch für die Tonne ist. Bestimmt haben oder hatten manche von ihnen Momente, in denen sie selbst genau das fühlen. Aber lässt man in dieser Lage solche Gefühle zu lange zu – man kommt nicht weit.
Ob einer eine solche Zeit als verlorene Zeit ansieht, kommt wohl immer drauf an, wie er oder sie das sehen möchte… und vielleicht auch immer wieder darauf, wie rosig die Aussichten sind. Wartet vorne der Glitzer, ist einer womöglich schneller dabei, die matten Zeiten als verlorene Zeit abzuschreiben. Aber manchmal lässt Besserung auf sich warten, oder ist gar unerreichbar. Da ist es dann, dass doch viele lernen, den Glitzer zu suchen. Und sie finden ihn – den Glitzer… Sie finden ihn da, wo viele schon gar nicht mehr hinsehen, wo viele gar nicht mehr suchen. Sie finden ihn da, wo für viele nur noch hingehört, was verloren und abgeschrieben ist. Sie finden ihren Glitzer – in der Tonne.