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Das Leben ernst nehmen – ohne zu ernst zu werden

Ich glaube, ich könnte diesen Satz hier schreiben, und das wär’s. Muss man dem wirklich noch was hinzufügen? Doch ich kann ja nicht nur einen Satz schreiben hier. Oder doch?

Es war viel die vergangene Woche. Viele Gespräche, Erlebnisse, Gelesenes, Gesehenes, Mitgeteiltes. Und jetzt sitze ich hier. Es ist schon fast wieder Montag. Es ist zu früh fürs Bett und zu spät für ein Buch oder einen Film oder irgendwas, mit dem man sich auseinandersetzen müsste, könnte. Ich reflektiere.

Und schon nach einer Minute weiß ich, welche Überschrift ich über diese vergangene Woche setzen würde… Denn diese Woche war gespickt mit Situationen, die mich veranlasst haben mich zu fragen „Wie ernst nehme ich das Leben überhaupt? Und wie ernst muss ich es nehmen – überhaupt?“

Ein mehr als groteskes Schuljahr neigt sich dem Ende zu. Eine Aussage über die Leistungsfähigkeit und erst recht über die Fähigkeiten meiner Kinder kann allein schon ein normales Schuljahr nicht wirklich geben – erst recht nicht dieses. Wenn ein Hinweis auf die Schwächen mit „… naja, er wird seinen Weg schon machen“, endet, muss auch ich mir dreimal sagen: „Dieses Kind ist komplett gesund auf die Welt gekommen. Er hat Schwächen – definitiv. Aber vor allem hat er Vorlieben – extreme Vorlieben. Und die zeigen sich jetzt. Hätte er „Förderbedarf“, hättest du kein Problem damit – denn dann hätte er halt „Förderbedarf“. Den würde er kriegen.“ Aber – er ist nicht krank. Er ist desinteressiert, unmotiviert und vielleicht nicht zu hundert Prozent in die gewollte Richtung begabt. Aber jetzt alles pathologisch zu betrachten, den Lehrer zu spielen – würde das helfen? Ich bin seine Mutter! Ich fange ihn auf…

Wir sprechen über Gott und über Gottesbeweise, die Menschen einfordern oder zeigen. Kann ich Gott beweisen? Vielleicht dem, der glaubt. Aber wie kann ich dem, der nicht glaubt, Gott beweisen? Beweisen kann ich nichts. Gar nichts. Wäre ein Gott noch Gott, wenn ich kleiner Mensch ihn beweisen oder beschreiben – erfassen könnte? Wohl eher nicht… Und ich merke, wie ich das Leben ernst nehme, weil ich einfach glaube, es ist mir geschenkt – jede Minute, jede Sekunde. Und ich merke, wie ich dabei trotzdem nicht zu ernst werde, weil ich weiß, ich habe nicht allzu viel Einfluss auf dieses Leben – egal welche Minute, egal welche Sekunde.

Wenn meine Freundin immer noch keine rechte Diagnose hat für ihre Krankheit, stehe ich da und denke mir „Was ist das – dieses Leben?“ Und wenn es in mir kämpft, ob das die richtige Entscheidung ist, dass unsere Kinder zwei Spritzen BioNTech bekommen, dann startet in mir ein Dialog „Kann ich wirklich durch zwei Spritzen das Leben meiner Kinder verlängern – oder vielleicht auch verkürzen?“ – „Nein. Das liegt nie in deiner Hand. Das weißt du doch schon längst. Oder hast du das vergessen? Aber du kannst deinem Verstand folgen und tun, was sinnvoll und vernünftig ist. Und überhaupt – was ist schon das Leben? Nimm es nicht zu ernst!“

Und dann verfolge ich immer noch bewegt den Abspann der Kroos-Doku. Ehrlich, ich hätte nicht gedacht, dass ich so bewegt bin. War es doch fast ausschließlich Fußball, worum es ging. Trotzdem – wahrscheinlich einer der prägendsten Sportler unserer Zeit. Und irgendwie erinneren mich diese Zurückhaltung und die unprätentiöse Art dieses portraitierten Sportlers an den Menschen, der mich schon seit bald achtzehn Jahren mit durchs Leben „schleppt“. Auch erfolgreicher Sportler. Definitiv kein Fußballer und ohne diesen tätowierten Arm ;). Karate ist nicht so populär und nicht mal halb so lukrativ. Aber auch er hat es geschafft, das Leben ernst zu nehmen, seinen Job ernst zu nehmen… ohne zu ernst zu werden. Er war sich bewusst – viel hängt ab, vom Erfolg. Aber alles hängt mit Sicherheit nicht davon ab. Da ist mehr worauf es ankommt. Spätestens als Jona zum ersten Mal krank wurde, war uns bewusst, es geht um mehr.

Erfolg kann ein Ziel sein. Erfolg kann helfen. Erfolg kann wahre Glücksmomente verschaffen. Aber dauerhaft glücklich wirst du nicht durch Erfolg allein. Glücklich bist du, wenn du weißt, warum du Erfolg haben willst. Warum du jeden Morgen aufstehst, und warum du jeden Abend zu Bett gehst. Wirklich glücklich kannst du sein, wenn du weißt, auf was es im Leben wirklich ankommt, wie ernst du das Leben nehmen musst.

Denn wenn du das Leben wirklich ernst nimmst, dann merkst du, wie verrückt alles ist, wie unbegreiflich die Dinge sind. Wie wir Menschen fast nicht zu verstehen sind und wie unerklärlich so vieles ist, was wir sind und tun. Wie wir Menschen wieder und wieder an unsere Grenzen stoßen. Und wie die einzig weise Erkenntnis, die wir aus dem Leben gewinnen können, die ist – dass wir das Leben nicht zu ernst nehmen dürfen, um es ernst zu nehmen. Dass wir loslassen dürfen und uns nicht zu wichtig nehmen müssen – um diesem Leben Bedeutung zu verleihen.

Denn tatsächlich – es hängt nicht alles von uns ab.

„Ich sehe mein Kind,

vor Kuzem war gestern, dieses Leben geschwind.

Die ersten Jahre verfliegen.

Und was davon uns ist wie geblieben?

Bilder. Manche auch in Echt gemacht.

Wir hatten auf diesen oft herzlich gelacht.

Mein Kind nun größer in Höhe nahe mir,

sagt traurig und ernst, wäre gerne näher an Vier.

Zumindest nicht älter, als es weiter jetzt geht,

das Leben möchte halten, weil schnell es vergeht.

Diese Sehnsucht nach Halt, auch kenne in mir.

Mein Kind: das Leben. Wie sag ich’s dir?“

Verfasser: Papa

2 Kommentare

  1. ….. Und du nimmst es SEHR ernst. Das Leben. Zumindest lese ich das aus deinen Worten. Oder zwischen den Zeilen????

    • Julia Boskovic Julia Boskovic

      … wahrscheinlich zwischen den Zeilen 😉

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Julia ist Jahrgang 1981. Sie ist eigentlich Übersetzerin – singt aber am liebsten… und besser als sie übersetzt. 2011 wurde bei ihrem ältesten Sohn Jona ein Hirntumor, genauer bezeichnet als Medulloblastom, festgestellt. Seit seinem ersten Rückfall schreibt sie ihre Gedanken in Form eines Blogs nieder. Sie singt auf Hochzeiten und überall sonst, wo man Lieder braucht. Doch am liebsten nimmt sie Menschen durch ihre eigenen Lieder mit – mit in ihre eigene Welt. Sie bäckt so ungern Kuchen, dass, wenn sie’s doch einfach mal tut, der Rest der Familie fragt, wer denn Geburtstag hat. Sie wünscht sich, sie könnte besser schwimmen, ist aber doch nicht ehrgeizig genug, weil sie sich eigentlich mit Boden unter den Füßen am wohlsten fühlt. Und es geht ihr wie so vielen Müttern auf dieser Welt: Sie ist einfach gern allein – und ist sie’s dann tatsächlich, fühlt sie sich doch, als würde ihr ein Bein fehlen. Mit ihrem Mann, Jonas drei Brüdern und dessen Hund Mia lebt sie in Ravensburg.