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Was der eine will – was der andere braucht

Last updated on 23. April 2021

Aus unterschiedlichen Gründen beschäftigen mich in letzter Zeit die Themen Beerdigung / Trauerfeier. Themen, die den meisten Menschen doch eher schwer und zu weit weg erscheinen, als dass man sich zu guten Zeiten darüber Gedanken machen möchte. Wer will denn schon ans Sterben denken? Ich ja auch nicht wirklich.

Doch je länger ich lebe, desto mehr bin ich der Meinung, dass es nie schlecht ist, in allem einen gewissen Plan und eine gewisse Ahnung zu haben. Denn wer eine Reise plant, nimmt sich auch eine Karte vor, spricht mit anderen, überlegt, wo er Station macht, was er hier und dort unternehmen wird, was das Ziel sein soll, und wie er die Zeit dort gestalten möchte.

– Wir sind auf einer Reise. Wir alle. Eine Reise, die irgendwann mal endet. Aber wir wollen das oft nicht wahrhaben… vielleicht, weil wir keine Ahnung vom Ziel haben (möchten). Oder weil wir uns nicht sicher sind, ob da ein Ziel ist, oder nicht sicher sind, ob wir glauben wollen, dass da ein Ziel ist – oder auch nicht. Weiter möchte ich auf dieses Thema nicht eingehen.

Doch sich gar nicht mit dem Sterben und dem Tod auseinanderzusetzen, kann zur Folge haben, dass die Ereignisse einen überrennen. Weil, der Tod, der plant sich in der Regel ohnehin selbst. Und wenn wir damit nicht irgendwie rechnen, planen sich womöglich auch die Trauerfeier oder die Beerdigung von selbst. Und mit von selbst meine ich natürlich nicht ganz ohne Zutun – sondern ohne das wirkliche Zutun des oder der Zurückgebliebenen.

Und dabei ist genau dieser Tag ein Ereignis, das mehr als nur ein schrecklicher, dunkler Moment sein sollte, den man einfach nur hinter sich lassen möchte. Dieser Tag kann richtungsweisend sein für eine Art, Trauer zu leben. Eine Trauerfeier kann Mut machen, die eigene Traurigkeit und die Beziehung zum verstorbenen Menschen so zu gestalten, wie man es selbst braucht als Zurückgebliebener, als Liebender, der jetzt dasteht – ohne…

Meine Mutter war das komplette Gegenteil der meisten Menschen um mich. Ihre Beerdigung hatte sie schon Jahre vor ihrem Tod geplant. Ihre Aussagen waren so klar, dass sie der Grund für einen Streit zwischen uns waren. Woraufhin ich ihr einen Brief schrieb, um ihr zu erklären… Ich erklärte ihr, dass das nicht fair sei, uns vorzuschreiben, wie wir ihren Abschied gestalten müssten. Ich schrieb, dass ich sehr wohl verstehe, dass sie Wünsche hat, und dass ich die auch respektieren wolle.

Ich fragte sie, ob sie denn kein Vertrauen hätte, dass wir ihr und ihren Wünschen gerecht werden würden. Und wollte sie nochmal wissen lassen, dass es wir seien, die mit der Lücke leben müssten, die sie hinterlassen würde – und nicht sie. Und dass es, um mal von mir auszugehen, unglaublich heilsam wäre, wenn wir diesen Anfang der Zeit ohne sie hier mitgestalten dürften.

 – Man spricht ja immer von Abschied. Aber es ist ja auch ein Anfang. Und ich wollte, dass sie versteht, dass ihr Gehen meinen Schmerz über Jonas Verlust nicht gerade weniger machen würde. 

Was sie letzten Endes dann gestrichen hat, das hat sie mir nie gesagt. Aber ich weiß noch, wie mein Bruder und ich uns Blicke zuwarfen, während mein Vater am Tag des Todes meiner Mutter, das Telefon auf Lautsprecher, mit dem Pfarrer sprach, von dem sie sich gewünscht hatte, er solle die Gestaltung der Trauerfeier übernehmen. Wie mein Vater auflegte, und ich ihm sagte „Wir müssen das nicht machen. Wir müssen nicht diesen Pfarrer holen… Ich glaube, Mama hätte gewollt, dass es uns gut geht. Wir müssen damit leben, dass sie nicht mehr da ist – nicht Mama!“

Doch wir ließen Mama entscheiden. Der Pfarrer kam. Und was soll ich sagen? – Er hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Und der war nicht der Beste. Ich werde definitiv immer etwas zu erzählen haben, wenn mich jemand nach der Beerdigung meiner Mutter fragt. Aber es gab auch viele andere Dinge, die mich dann getröstet haben. Trotzdem hätten wir Mama nochmal gerne was von uns gezeigt, etwas von uns mitgebracht, mitgegeben. War sie doch immer ein Mensch, der sich für jeden von uns interessiert hat und sich gefreut hat – über jedes Bild, über jede Bastelei, über jeden Erfolg, über jede Geschichte.

Und so war die Trauerfeier meiner Mutter anders als die, die wir für Jona gestalten durften. Und das lag nicht nur daran, dass sie alt war und Jona ein Kind. – Mamas Trauerfeier war ein Abschied. Jonas Trauerfeier ließ in vielen Dingen Raum, auch ein Anfang zu sein – ein Anfang der Zeit ohne ihn. Den Anfang der Zeit ohne meine Mutter musste ich, was mich angeht, mir an einem anderen Punkt selbst erarbeiten.  

Und trotzdem bin ich froh, dass wir damals schon über diese Dinge gesprochen haben, meine Mutter und ich. Dass wir unsere Gefühle offen gelegt haben, die so heftig wurden, dass man sie als Streit bezeichnen konnte. Aber dadurch war die Basis geschaffen für ein Gespräch über diesen einen gefürchteten Moment – dieser Moment, wenn sie mal nicht mehr da sein würde.

Dass Jonas Beerdigung zu einhundert Prozent Jona war, und dass es nichts gibt (nicht eine Sache) die ich rückblickend an diesem Tag ändern würde – außer der Sache, dass es diesen Tag einfach nicht hätte geben sollen – das erfüllt mich mit einer unglaublichen Kraft und mit einer Dankbarkeit, die sich nicht wirklich in Worte fassen lassen. Eindrücklicher hätte sie nicht sein können, diese Erinnerung an ihn und diese Zusage „Jona ist tot – aber, wer er war, und was er uns hinterlassen hat, das lebt, das hat Raum, das wächst weiter, das wird weitergetragen, und das prägt.“

Oft genug kämpfe ich mit der Tatsache, dass Jona nicht mehr lebt. Da ist es gut, etwas zu haben, von dem ich weiß, bei allem, was nicht hätte sein sollen, und was ich mir nie ausgesucht hätte, diese Sache, da hatte ich einen Einfluss drauf – und sie ist gut geworden! Und bei allem, was sich nicht gut anfühlt – das fühlt sich gut an. Und bei allem, was traurig macht – genau das tröstet.

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Julia ist Jahrgang 1981. Vor Jahren hat sie mal das Übersetzerhandwerk gelernt, heute schreibt sie Lieder und arbeitet als Sängerin und Stimmtrainerin. 2011 wurde bei ihrem ältesten Sohn Jona ein Hirntumor, genauer bezeichnet als Medulloblastom, festgestellt. Seit seinem ersten Rückfall schreibt sie ihre Gedanken in Form eines Blogs nieder. Zimmerpflanzen mag sie eigentlich gern, hat ihren Kopf aber lieber in Liedern und ihre Finger am Klavier, sodass diese in ihrem Haus meistens kein allzu langes Leben haben. Kuchen bäckt sie so ungern, dass, wenn sie’s doch mal tut, der Rest der Familie fragt, wer denn Geburtstag hat. Sie wünscht sich, sie könnte besser schwimmen, ist aber doch nicht ehrgeizig genug, weil sie sich eigentlich mit Boden unter den Füßen am wohlsten fühlt. Und es geht ihr wie so vielen Müttern auf dieser Welt: Sie ist einfach gern allein – und ist sie’s dann tatsächlich, fühlt sie sich doch, als würde ihr ein Bein fehlen. Mit ihrem Mann, Jonas drei Brüdern und dessen Hund Mia lebt sie in Ravensburg.