Zum Inhalt springen

Einfach nur mal wieder – da

Last updated on 21. Januar 2021

Erst kürzlich musste ich an diesen Eintrag auf meinem Instagram-Profil vor einer Weile denken… Denn im Email-Postfach war eine Rechnung von der Stadtbücherei – man möge doch den fälligen Betrag auf der Karte per Überweisung begleichen, sonst würde die Karte gesperrt…

Mein Mann meinte „I wo, eins achtzig…“ – Woraufhin ich zu bedenken gab „Und wie willst du denen dann im Fall der Fälle irgendwann erklären, dass wir Bücher mit der Karte von einem Toten ausgeliehen haben?“

Denn das Ding ist irgendwie… obwohl Jona schon mehr als zwei Jahre nicht mehr lebt, kann ich es nicht übers Herz bringen, auf eigene Faust irgendwo hinzugehen und zu sagen „Hier bitte, da ist die Karte. Der Junge ist tot…“

Ich weiß ja schon, wie komisch das beim Zahnarzt war, als sie mich ganz vorsichtig gefragt haben, wer denn nochmal genau die Kinder seien, die jetzt zur Untersuchung kommen. „Den Jona können Sie aus der Kartei löschen.“ hab ich damals nur gesagt. – Naja, ich bin mir auch nicht sicher, ob ich als Zahnarzthelferin eine Mutter wie mich konkret gefragt hätte, wer denn nochmal das tote Kind sei…

Und so die Gedanken vom Februar –

„Das Leben ist schon manchmal komisch – und man selber auch. Und da ist es meistens besser, man lacht.

So stand ich gestern in der Bücherei und wusste jetzt nicht so recht, was tun. Wir waren mit einem Buch zu spät dran und auf dem Leserkonto sind nun Gebühren. Wer wieder mit dem entsprechenden Leserausweis ausleihen will, muss erst bezahlen.

Am Automaten, an dem die Rechnungen beglichen werden können, hieß es aber, die Nummer könne keinem Leserkonto zugeordnet werden. Verstohlen hab ich die Karte wieder eingesteckt und bin gegangen.

Denn wegen diesem Leserkonto konnte ich mir jetzt schlecht von einer Bibliothekangestellten weiterhelfen lassen. Was hätte ich sagen sollen? Dass der Besitzer der Karte schon seit bald zwei Jahren tot ist, und dass jetzt irgendwas nicht stimmt…?

Es ist schon eine Weile her, da konnte keiner der Jungs seine Büchereikarte finden, und wir nahmen einfach kurzerhand Jonas Ausweis um Bücher auszuleihen. Das haben wir dann irgendwie so beibehalten…

Vielleicht aus Faulheit, oder vielleicht auch nur, weil es einfach irgendwie gut tut, Jona dabei zu haben – wenn auch nur in Form einer Karte. Weil es ein schönes Gefühl ist, beim Verlängern des Buches angezeigt zu bekommen Jona Boskovic, Ausweisgültigkeit: 06.07.2042.

Ich weiß, die Karte ist nicht übertragbar. Und vielleicht denkt mancher, wir bräuchten dringend einen Psychologen… Aber ich glaube, wir sind ganz normal – ganz normal traurig. Wir vermissen – ganz normal. Und die Jungs müssen jetzt halt wieder ihre eigenen Karten suchen…“

Die meisten Karten haben wir – wieder… gefunden, neu gemacht. Mit Jonas Karte haben wir uns seither nicht mehr getraut Bücher auszuleihen.

Aber manchmal würd ich gern… Ich trag sie immer noch im Geldbeutel spazieren.

Denn manchmal ist es einfach nur schön, jemandem, der eigentlich ja nicht mehr da ist, wieder einen Platz geben zu können. Sich einen Moment zu gönnen, in dem er – wieder mal – von Bedeutung ist. Einen Moment, in dem man sich die Freiheit rausnehmen kann, an ihn zu denken. Einen Moment, in dem man froh sein darf, dass er da war. Und einen Moment, in dem es okay ist auch traurig zu sein, dass er es nicht mehr ist – da, hier, bei uns.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Julia ist Jahrgang 1981. Sie ist eigentlich Übersetzerin – singt aber am liebsten… und besser als sie übersetzt. 2011 wurde bei ihrem ältesten Sohn Jona ein Hirntumor, genauer bezeichnet als Medulloblastom, festgestellt. Seit seinem ersten Rückfall schreibt sie ihre Gedanken in Form eines Blogs nieder. Sie singt auf Hochzeiten und überall sonst, wo man Lieder braucht. Doch am liebsten nimmt sie Menschen durch ihre eigenen Lieder mit – mit in ihre eigene Welt. Sie bäckt so ungern Kuchen, dass, wenn sie’s doch einfach mal tut, der Rest der Familie fragt, wer denn Geburtstag hat. Sie wünscht sich, sie könnte besser schwimmen, ist aber doch nicht ehrgeizig genug, weil sie sich eigentlich mit Boden unter den Füßen am wohlsten fühlt. Und es geht ihr wie so vielen Müttern auf dieser Welt: Sie ist einfach gern allein – und ist sie’s dann tatsächlich, fühlt sie sich doch, als würde ihr ein Bein fehlen. Mit ihrem Mann, Jonas drei Brüdern und dessen Hund Mia lebt sie in Ravensburg.