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Die Traurigkeit der Trauer

Last updated on 19. Februar 2021

Wir waren so lange nicht mehr bei meinem Vater. Doofes Corona! Warum musste Mama ausgerechnet in einer Zeit wie dieser sterben? Na, vielleicht war’s auch gut… dieser Winter wäre heftig gewesen für sie. Und dann noch mit all den Einschränkungen.

„Ich komm vorbei und wisch dir mal Staub, Papa“ sag ich noch, bevor wir gehen. Ein Glück, ist er jetzt geimpft. Und endlich fühlt er sich wieder ein bisschen freier, den Besuch zu empfangen, der dringend für ihn nötig ist. Nicht nur ein Telefon. Nicht nur ein Bildschirm.

„Wann hast du das letzte Mal den Spüllappen gewechselt, Papa?“ – „Oh stimmt… schon länger nicht.“ – „Man riecht’s! Ich hab ihn ausgewechselt und den alten auf die Waschmaschine gelegt. Kommst du schon klar mit dem Wäsche waschen?“

Klar kommt er klar. Er kommt immer irgendwie klar. Lang sind die Haare geworden. Das lässt einen immer ein bisschen vernachlässigt aussehen… Ich will mir nicht zu sehr einen Kopf machen. Aber er ist eben alt. Mein Vater ist alt. Das ist so wichtig, dass wir nacheinander schauen. Einander nicht aus den Augen verlieren (im wahrsten Sinne des Wortes). Bei aller berechtigter Vorsicht. Einander begegnen. Wenn auch nur draußen für ein Stündchen in der Eiseskälte. So wichtig ist das. Sehen. Begegnung.

„Hast du mir ein paar Wollsocken?“ – „Ja. Schau mal in Mamas Schrank nach. Die hat viele.“ Es fühlt sich nicht mehr ganz so an, als ob sie noch lebt, und trotzdem – sie ist immer noch so präsent. Der Hund schleicht durch die Wohnung. Er sucht sie – die Oma. „Die Oma kommt nicht mehr…“ sag ich ihr (sie, ihm, er, ihr… der Hund ist eine Sie). Mein Herz wird schwer.

Manchmal ist es komisch. Kompliziert. Komisch kompliziert mit der Traurigkeit der Trauer. Da steh ich dann und hab die Wahl. Soll ich mich hinsetzen und weinen? Sollen wir jetzt alle hier zusammen sitzen und weinen? Wir sind alle traurig. Sie fehlt. Sie fehlt jedem von uns. Jeder weiß das. Und doch, keiner sagt es jetzt. Müssen wir auch nicht. Wir reden eher so, als wäre sie noch da. „Da oben müsste noch Kaffee stehen. Da hat die Mama ihn immer hingestellt.“

Heute entscheiden wir uns gegen das Weinen. Wir machen einfach. Sind einfach da. Sind im Jetzt. Erinnern uns an Gestern – im Zusammenhang mit dem Jetzt. „Gell, die Carrera-Bahn wolltest du uns eigentlich schenken, Mama. Und dann hat Oma sie dir abgekauft und jetzt ist sie hier bei Opa.“ Wir sind dankbar für Gestern. Und wir sind traurig – weil Mama nur noch in Erinnerungen ein Teil von Heute ist.

Komisch kompliziert ist das manchmal – mit der Traurigkeit der Trauer.  

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Julia ist Jahrgang 1981. Sie ist eigentlich Übersetzerin – singt aber am liebsten… und besser als sie übersetzt. 2011 wurde bei ihrem ältesten Sohn Jona ein Hirntumor, genauer bezeichnet als Medulloblastom, festgestellt. Seit seinem ersten Rückfall schreibt sie ihre Gedanken in Form eines Blogs nieder. Sie singt auf Hochzeiten und überall sonst, wo man Lieder braucht. Doch am liebsten nimmt sie Menschen durch ihre eigenen Lieder mit – mit in ihre eigene Welt. Sie bäckt so ungern Kuchen, dass, wenn sie’s doch einfach mal tut, der Rest der Familie fragt, wer denn Geburtstag hat. Sie wünscht sich, sie könnte besser schwimmen, ist aber doch nicht ehrgeizig genug, weil sie sich eigentlich mit Boden unter den Füßen am wohlsten fühlt. Und es geht ihr wie so vielen Müttern auf dieser Welt: Sie ist einfach gern allein – und ist sie’s dann tatsächlich, fühlt sie sich doch, als würde ihr ein Bein fehlen. Mit ihrem Mann, Jonas drei Brüdern und dessen Hund Mia lebt sie in Ravensburg.