Last updated on 21. Januar 2021
„Wenn Mama noch da wäre, dann würde sie jetzt…“ sage ich meinem Vater.
„Jona hätte jetzt gesagt, …“ unterhalten wir uns am Tisch.
Diese Welt, in die meine nächsten und liebsten Menschen verschwunden sind – dass diese Welt so viel näher und greifbarer ist, als wir uns das meist ausdenken, das ist mir jetzt wieder so richtig spürbar geworden.
Andererseits bleiben die Dinge, die wir greifen und fassen können trotz aller neuesten Erkenntnisse doch oft ungreifbar und unfassbar. Und oft erst, wenn wir uns mit ihnen auseinandersetzen, merken wir, dass die selbstverständlichsten und grundlegendsten Dinge des Lebens uns eigentlich vor die größten Rätsel stellen.
Zu Beginn der Herbstferien hatten wir uns drei Tage aus dem Alltag gebeamt… an unseren Zufluchtsort im Pfälzerwald. Ein Ort, wo Corona quasi ein Fremdwort ist (außer man hat es selber), und wo uns doch jede Ecke eine Geschichte erzählt.
Geschichten – nicht nur von Rittern und Burgen, von armen Weinbauern und gutem Wein. Sondern Geschichten von uns. Von Jona, als er noch ganz klein war – bis fast zu seinem Tod. Von meiner Mama, als sie noch so richtig meine Mama war und ich ein kleines Mädchen – bis dahin, als sie wusste, sie muss ihren Radius einschränken, weil ihr Körper so kaputt ist, dass sie manche schönen Dinge nicht mehr genießen kann, weil die Kraft zum Leben weniger wird.
Und so sitzen wir hier über einem Glas Wein, müde vom Tag – und wir gähnen. Und wie wir uns darüber unterhalten, warum Gähnen ansteckend ist, gleitet das Gespräch weiter über die Frage „Warum ist Wasser, wie es ist?“ hin zum Herzen. Und wir sprechen über „Herzschmerz“ und „Bauchgefühl“, über manche wissenschaftlichen Erkenntnisse. Wir googeln ein bisschen und tauschen Gelesenes aus… Aber Fakt bleibt: So vieles von dem, was für uns Menschen greifbar und real ist, bleibt doch so unerklärlich.
Und ich erinnere mich an einen älteren Blog-Eintrag, den ich auch jetzt genauso wieder verfassen würde; verfassen würde, um zu versuchen manches Unerklärliche zu erklären:
– „Wie geht’s dir?“ fragt man mich. „Passt schon.“ sage ich ganz oft. Ist ja alles auch eine Frage der Perspektive oder eine Momentaufnahme. „Es läuft.“ sage ich oft. „… es muss…“ hänge ich manchmal noch dran. Nur selten sage ich „Es läuft – sich schwer mit einem Stein im Schuh.“ oder „Es läuft – sich schwer mit einem amputierten Körperteil.“
Meine beste Freundin hat bei einem Unfall ihren linken Vorfuß verloren. Sie kann trotzdem laufen. Wenn sie ihre Silikonprothese trägt, könnte einem sogar beim Baden erstmal nicht auffallen, dass ihr ein halber Fuß fehlt. Doch trotz aller Technik… ihr fehlt halt doch ein Stück vom Körper. Die Bewegungsabläufe sind anders als mit einem ganzen Fuß. Das wirkt sich auf den Rest des Körpers aus. Was das so langfristig für Folgen und Probleme mit sich bringen wird oder kann, kann man vielleicht ahnen. Sie geht zur Physio. Schont sich, wenn sie Schmerzen hat, wenn es irgendwo drückt. Drum – „Es läuft sich schwerer – mit einem amputierten Fuß.“
„Es hält sich schwerer durch – mit einem Loch im Herzen.“ „Es atmet sich schwerer – wenn dir ein Stein auf dem Brustkorb liegt; wenn du eingeschnürt bist in ein eisernes Korsett.“ „Es lebt sich schwerer – wenn dein Herz blutet.“
Wochenstart. Wir leben. Wir laufen. Wir atmen. Wir halten durch. Manchmal besser, manchmal schlechter. Manchmal müssen wir auch stehen bleiben. Uns setzen. Uns hinlegen. Die Decke über den Kopf ziehen. Uns das Herz festhalten – damit es nicht ganz zerbricht. Und das ist wichtig und heilsam. Solange wir nicht vergessen, dass wir leben. Und dass es gut ist. Und dass es einen Grund hat, dass wir leben. –