Wir hatten die Geiersteine anvisiert, eine Felsformation im Pfälzerwald. Dass aber aus dem Weg vom Parkplatz zum Felsen keine ganze Wanderung werden würde, war uns schon im Vornherein klar. Wie dann aber die Wanderung aussehen sollte, darüber hatten wir uns keine Gedanken gemacht.
An den Felsen vorbei, steuerten wir weiter in den Wald. Klar, irgendwann nicht zu spät wieder am Auto sein – wäre schon gut. Alles andere war relativ egal. Wir gingen der Nase und dem Gefühl nach. Und gegen Ende dann ein bisschen mit Hilfe von Google Maps. Keine festgelegte Wanderroute. Einfach nur mal laufen.
Einer unsrer Helden hatte zu Beginn immer mal wieder Probleme mit dem (naja, nicht allzu – aber ihm schien es so) Ungewissen. „Und was ist, wenn wir falsch laufen?!“ fragte er immer wieder mal besorgt. „Wer keinen Plan hat, der kann auch nicht falsch laufen…“ versuchte ich ihn ein bisschen aufzuziehen.
Was Wahres ist da ja schon dran… Ist das nicht auch ein bisschen das Ding mit der Trauer? Wenn der Mensch, den du liebst, nicht mehr lebt, dann hast du natürlich ein Ziel. Das Ziel heißt „weiterleben können – ohne zu vergessen“. Aber für den Weg dahin? Es gibt vielleicht Anhaltspunkte. Aber einen wirklichen Plan gibt es nicht. Infolgedessen gibt es auch erstmal keinen wirklich falschen Weg.
Viel mehr darf man sich fragen: Wer bin ich? Was brauche ich? Was hilft mir? Wie fühle ich mich – jetzt? Wie will ich mich fühlen? Und ich glaube, dass gerade da der fehlende Plan sogar hilfreich sein kann. Einfach laufen – laufen lassen. Den Kopf außen vor lassen. Ausprobieren. Ein „Ventil“ finden. Wie auch immer das dann konkret aussehen mag.
Denn manchmal habe ich den Eindruck, Traurigkeit ist so ein verbotenes Gefühl in unserer Gesellschaft. Wer traurig ist, muss ganz schnell wieder fröhlich sein oder fröhlich gemacht werden. Leben wir aber doch in einer Welt, die uns alles bietet. Dinge zum Weinen, zum Schreien, zum wütend werden. Dinge zum Lachen, zum fröhlich sein. Und Dinge zum Angst haben und traurig sein. Warum sollen wir da nicht auch alles fühlen dürfen?
Ist das nicht oft so? Unmittelbar nach dem Tod eines Menschen, den man liebt, darf man nicht zu viel lachen, sich nicht zu viel an Schönem freuen. Es muss sich schwer anfühlen – Erleichterung zu spüren ist unangebracht. Ein Jahr später aber wäre es wichtig, dass es „wieder besser geht“. Dass man „klarkommt“. Dass man einem fremden Menschen beipflichtet, der für einen feststellt, dass das ja auch gut ist, dass der Verstorbene „erlöst“ ist. Und dass es gut ist, dass das Leben „weitergeht“.
Wenn ich diese Worte hier zitiere, dann nicht, um mit dem Finger auf Menschen zu zeigen – sondern um mit dem Finger auf diese Worte zu zeigen, die wir manchmal (und da schließe auch ich mich ein) in unserer eigentlichen Sprachlosigkeit oder Unbeholfenheit – und dem Bedürfnis, dann doch zu allem etwas sagen zu müssen – von uns geben.
Die Wahrheit ist: Wer trauert, darf alles fühlen. Alles, was er oder sie fühlt. Es gibt keinen „falschen Weg“. Außer – wenn der Weg eine ganze Weile nur aus einem Gefühl besteht… da wird es (spätestens dann) wichtig sein, einen Menschen mit ins Boot zu holen, der einen begleitet. Denn, es geht ja nicht darum abzuschließen, abzulegen oder hinter sich zu lassen – sondern es geht darum, mitzunehmen.